Deutschlands Dominanz trifft auf einen neuen, härteren Turnierpfad
164 Punkte Vorsprung nach fünf Partien – solche Zahlen liest man nicht oft bei einer EM. Deutschland hat in Tampere die Vorrunde der EuroBasket 2025 mit einem 91:61 gegen Gastgeber Finnland abgeschlossen und zieht ohne Makel nach Riga weiter. Der souveräne Auftritt hat die Messlatte hoch gelegt. Doch der Weg zum Titel wird steiler als gedacht.
Die Bilanz der Gruppenphase spricht für sich: fünf Siege, kein Zittern, dazu ein Paukenschlag mit dem 63-Punkte-Erfolg gegen Großbritannien, der ins EM-Geschichtsbuch einging. Auch gegen die traditionell starke Auswahl Litauens und gegen Finnland ließ das Team nichts anbrennen. Tempo, Physis, Tiefe – Deutschland dominierte in allen Schlüsselkategorien und diktierte die Spiele vom ersten Viertel an.
An der Seitenlinie stand zuletzt Interimstrainer Alan Ibrahimagic. Er nannte das, was jetzt kommt, „ein ziemlich brutales, völlig neues Turnier“. Genau so ist es: In K.-o.-Spielen zählt kein Punktedifferenz-Glanz der Vergangenheit, sondern jeder einzelne Ballbesitz. Ibrahimagic bereitet die Übergabe an den genesenden Chefcoach Álex Mumbrú vor – eine Rückkehr, die dem Team zusätzliche Sicherheit geben soll, ohne die klare Linie der Vorrunde zu verlieren.
Deutschland reiste nach dem WM-Titel als einer der Topfavoriten an – gemeinsam mit Serbien. Doch das Tableau wurde durcheinandergewirbelt: Serbien verlor sein letztes Gruppenspiel 90:95 gegen die Türkei und rutschte auf Platz zwei. Die erhoffte Finalaffäre Deutschland gegen Serbien ist damit passé. Stattdessen kann es schon im Halbfinale zu diesem Gigantenduell kommen – inklusive der Aussicht auf NBA-Superstar Nikola Jokic und Altmeister-Trainer Svetislav Pesic auf der Gegenseite.
Das deutsche Team blieb trotz der Gala-Auftritte bodenständig. Kapitän Dennis Schröder erinnerte direkt nach dem Finnland-Spiel daran, was jetzt zählt: „Wir hatten wunderschöne Tage in Tampere. Jetzt beginnt ein neues Turnier. Wir müssen bereit sein für Portugal.“ Das Achtelfinale steigt am Samstag um 14:15 Uhr (live bei RTL und MagentaSport). Kein Gegner ist in dieser Phase „leicht“ – schon gar nicht einer, der sich selbst gerade überraschend in die K.-o.-Runde gespielt hat.
Portugal ist der Beweis dafür. Das 68:65 gegen Estland brachte den Außenseiter in die Runde der letzten 16. Solche Siege geben Rückenwind – und die Freiheit, ohne Druck zu spielen. Genau darin liegt die Gefahr für Favoriten. Portugal weiß, dass gegen Deutschland vieles perfekt laufen muss. Sie werden das Tempo drosseln, jeden Ball sichern wollen und jede offene Wurfchance nehmen. Deutschlands Antwort: Konzentration in der Defense, klare Abschlüsse, wenige Ballverluste.
Der Qualitätsvorsprung ist da. In der Vorrunde punkteten die Deutschen breit, die Bank lieferte konstant, und die Startformation setzte früh die Tonlage. NBA-Profi Tristan da Silva gab dem Team für die Gruppenphase eine „1+“ – eine Benotung, die zeigt, wie stimmig Auftritt und Ergebnis zusammenpassten. Gleichzeitig steckt in dieser Bewertung eine Verpflichtung: Dieses Niveau muss jetzt halten, wenn die Spiele enger und die Nerven dünner werden.
Die nackten Zahlen unterstreichen das hohe Level. Deutschland gewann im Schnitt mit mehr als 30 Punkten und knackte mit dem Rekordsieg gegen Großbritannien gleich mehrere EM-Bestmarken. Doch intern bewertet man das nüchtern. Rekorde sind in der K.-o.-Runde wertlos, wenn der Rhythmus reißt. Der Stab achtet auf saubere Rotationen, frische Beine und schnelle Anpassungen – das sind oft die stillen Faktoren, die enge Spiele kippen.
Der Spieltag am Samstag ist prominent besetzt. Früh eröffnet die Türkei gegen Schweden (11:00 Uhr), danach folgt Deutschland gegen Portugal (14:15 Uhr) und das Duell Litauen gegen Gastgeber Lettland (17:30 Uhr). Am Abend ist Serbien im Einsatz (20:45 Uhr). Durch die Neuordnung nach der serbischen Niederlage ist der obere Turnierast dichter geworden. Für Deutschland heißt das: Selbst bei einem Sieg im Achtelfinale bleiben die großen Brocken nicht bis ganz zum Schluss verborgen.
Wer am Sonntag spielt, liest sich ebenfalls wie eine Medaillen-Vorschau: Frankreich, Slowenien mit Luka Doncic sowie Griechenland mit Giannis Antetokounmpo steigen dann ein. Diese Namen erinnern daran, wie brutal eng die Spitze in Europa geworden ist. Wer Gold will, muss mehrere Schwergewichte nacheinander schlagen – oft in 48 Stunden mit nur einer Regenerationseinheit dazwischen.
Der Ortswechsel von Tampere nach Riga verändert mehr als nur die Kulisse. Lettland lebt Basketball, die Halle wird kochen – erst recht, wenn die Gastgeber länger im Turnier bleiben. Für Deutschland ist das ein zweischneidiges Schwert: Der Lärm kann tragen, aber er kann auch das Momentum drehen. Das Team reiste früh an, um den Rhythmus zu halten, die Wurflinien zu spüren und die Trainingsfenster optimal zu nutzen.
Spannend wird, wie die Führungsrolle zwischen Ibrahimagic und dem zurückkehrenden Mumbrú verteilt wird. Große Änderungen sind nicht zu erwarten – zu gut ist der Takt bislang eingestellt. Eher geht es um Feinschliff: Welche Lineups starten gegen Portugal, wann kommen die defensiven Spezialisten, wie staffelt man die Minuten für Schröder, damit Playmaking und Pace durchgängig hoch bleiben? K.-o.-Runden werden in solchen Details entschieden.
Die mentale Seite ist mindestens so wichtig. Klare Siege können trügen, weil sie Fehler überdecken. In engen Spielen schrumpft die Fehlertoleranz. Deutschlands Vorteil: Das Team hat in den vergangenen Jahren gelernt, Druck zu handeln. Späte Stopps, kontrollierte letzte Angriffe, Foul-Management – all das sitzt, solange Kopf und Beine frisch bleiben.
Ein Blick voraus – vorsichtig und ohne zu viel zu planen: Gewinnt Deutschland gegen Portugal, winkt im Viertelfinale mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Klassiker gegen den Sieger aus Litauen – Lettland. Litauen bringt traditionell Größe, Rebounding und Wurfdisziplin. Lettland hätte die Halle im Rücken und das Selbstverständnis eines Gastgebers. Beides sind echte Prüfungen, bevor überhaupt von einem möglichen Halbfinale gesprochen werden darf.
Und dann eben die neue Realität: Serbien auf dem eigenen Ast. Pesic kennt deutsche Stärken und Schwächen aus dem Effeff, Jokic kann Spiele alleine kippen. Das ist kein Schreckgespenst, sondern eine mögliche Aufgabe. Wer einen Titel will, nimmt sie an – egal, ob im Halbfinale oder im Endspiel.
Fünf Siege, klares Spiel, klare Ansagen – Deutschland hat geliefert. Jetzt wird es ernst. Das Turnier in Riga wird zum Charaktertest: saubere Basics, kluge Rotationen, kühler Kopf in heißen Minuten. Die perfekte Vorrunde war ein Startsignal. Der Rest des Weges führt mitten durch das Zentrum der europäischen Basketballmacht.
Fakten, die jetzt zählen
- Vorrundenbilanz: 5:0, Punktedifferenz +164
- Rekord: 63-Punkte-Sieg gegen Großbritannien
- Achtelfinale: Samstag, 14:15 Uhr – Deutschland vs. Portugal
- Ort: K.-o.-Runde in Riga
- Bracketeffekt: Serbien droht als Halbfinalgegner statt als Finalgegner